Düstere Prognose für Demokratie und Rechtsstaat 2050 (von Sebastian Kurz)
Nach oben kommen nicht die Guten
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz spricht offen über seine Ideen für die EU 2050 im Mai 2019. Sebastian Kurz meint: “Ich glaube, wenn wir an Wettbewerbsfähigkeit verlieren als Europäische Union, dann wird’s auch immer düsterer sein und immer düsterer werden für unsere Grundwerte: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und alles was uns in Österreich und Europa so heilig ist.”
Vielen Dank an Ana Schwarz für das komplette Transkript: 00:40: Und jetzt vielleicht zum — find ich — spannendsten Punkt: Ausblick 2050, wie kann sich die Welt entwickeln? Und ich muss sagen, bis vor ein paar Jahren hätte ich wahrscheinlich auf Ihre These der drei Strömungen Faschismus, Kommunismus oder der Weg des liberalen Rechtstaats in der freien westlichen Gesellschaft ganz klar gesagt: “Das Spiel ist entschieden.” 01:03: Kommunismus, Faschismus vorbei, der liberale Rechtsstaat hat sich durchgesetzt im ganzen Westen der Welt und er ist auf Erfolgszug (sic.) in den Rest der Welt unterwegs. Es gibt vielleicht Gebiete, da werden wir schneller erfolgreich sein, andere, da wird es länger dauern. Aber der Weg ist klar und es gibt nur einen Gewinner.
01:24: Mein Blick hat sich da ein Stück weit verändert. Jetzt bin ich zwar nach wie vor der Meinung, wenn es Enteignungsideen in Deutschland gibt oder die eine oder andere faschistische Aussage anderswo, dass das alles nach wie vor wirkt wie Absurditäten aus einer vergangenen und hinter uns liegenden Zeit.
01:45: Aber mir sind ein bisschen die Augen aufgegangen in den letzten Jahren, was die dynamische Entwicklung anderer Teile der Welt betrifft. Ich glaube der große Vorteil des liberalen Rechtsstaats, der Demokratie unserer Staaten in Westeuropa in den letzten sechzig, siebzig Jahren nach dem 2. Weltkrieg stets war, dass dieser Weg der Demokratie, des Rechtsstaats immer auch eng verbunden war mit wirtschaftlichem Erfolg. Jeder einzelne Bürger in unseren Staaten hat gewußt, das System gibt nicht nur Freiheit, sondern es führt auch zu einem mehr oder weniger kontinuierlichen Aufstieg. Zu einer Verbesserung der Lebensperspektive für jeden einzelnen, für jede Familie — immer für die nächste nachfolgende Generation einen Schritt weiter.
02:39: Und ich glaube, wir haben mittlerweile die große Herausforderung, dass vielleicht das nicht mehr eins zu eins miteinander Hand in Hand gehen muss. In unserer eigenen Gesellschaft — in Österreich, in Europa merken wir, dass es immer mehr Studien gibt, die sagen: “Naja, vielleicht wird die nächste Generation nicht mehr den Wohlstand der Vorgängergeneration aufrecht erhalten können.” Und noch dramatischer international.
03:03: Ich war vor einer Woche beim Belt and Road Forum in China. Zahlreiche Staaten dieser Welt waren eingeladen und China hat sich sehr sehr selbstbewusst, machtbewusst gezeigt — Der Vizepräsident Schenz [WKO] war dabei und hat dort eigentlich den unausgesprochenen Anspruch formuliert, dass mit dem System und der Ordnung Chinas wirtschaftlicher Aufstieg und Wohlstand mindestens so eng verbunden ist, wie mit unserer Systematik im Westen der Welt.
03:42: Und insofern gibt es glaube ich, die große Herausforderung, dass all das, was wir Ländern wie der Ukraine, den Westbalkanstaaten, den afrikanischen Staaten immer sagen konnten: “Entscheidet euch für unser System. Bekämpft die Korruption. Etabliert eine ordentliche Demokratie, einen funktionierenden Rechtsstaat und das ist eng verbunden mit etwas Unterstützung von uns und wirtschaftlichem Aufstieg.” 04:05: Dass es paralell dazu noch eine andere — ganz andere Erzählung und Idee gibt. Die Idee eines nicht wirklich demokratischen, stark und streng geführten Landes, das vielleicht — so mit eingeschränkter Freiheit, wirtschaftlich mindestens genauso, oder vieleicht sogar erfolgreicher sein kann.
04:31: Und insofern meine These um diesen kurzen Ausflug abzuschließen: Ich glaube, das beste, was uns passieren kann in Richtung 2050 ist, dass es uns als westlicher Welt, als Europäischer Union gelingt, wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Denn wir werden in unserer eigenen Gesellschaft massive Herausforderungen haben, glaubwürdig für unser System, für unsere Grundwerte zu werben, wenn dieses System — diese Grundwerte nicht auch mit einem bescheidenen Wohlstand verbunden sind.
05:07: Und wir werden uns extrem schwer tun, unser Modell, unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat und unsere Grundwerte in die Welt zu exportieren, wenn nicht unser Modell auch immer eng verbunden ist mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Erfolg. 05:27: Ich glaube, wenn wir an Wettbewerbsfähigkeit verlieren als Europäische Union, dann wird es auch immer düsterer sein, und immer düsterer werben, für unsere Grundwerte: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und alles, was uns in Österreich und in Europa Gott sei Dank so heilig ist.